Slowakeiwoche 2023

Ivan Šimko, ehem. Minister, Mitbegründer der Christlichdemokratischen Partei (2. v. re.), im Gespräch mit Teilnehmenden aus der Erzdiözese Wien.

© Franz Vock
Ivan Šimko, ehem. Minister, Mitbegründer der Christlichdemokratischen Partei (2. v. re.), im Gespräch mit Teilnehmenden aus der Erzdiözese Wien.

Über Würde, Rechte und Andersdenkende

Mit Menschenwürde und Demokratie in Familie, Beruf und Gesellschaft befassten sich die 32. slowakisch-österreichischen Begegnungstage in Čičmany nahe Zilina, Slowakei

„Die Botschaft der christlichen Demokratie ist die Würde des Menschen. Wir haben das in den letzten 30 Jahren betont … Würde ist nicht Sache des Gefühls, sondern des Verstandes. Würde hängt mit dem zusammen, was wir als Ehre bezeichnen. Der Mensch soll sich selbst wahrnehmen. Wenn wir unsere Ehre vermissen, sind wir unzufrieden“, sagte Ivan Simko, der ehemalige Minister und Mitbegründer der Christdemokratischen Partei in der Slowakei, nun Kurzzeitminister in der Expertenregierung, bei den 32. Slowakisch-Österreichischen Seminar- und Begegnungstagen zum Thema Menschenwürde und Demokratie in Familie, Beruf und Gesellschaft vom 19.-23. Juli 2023 im Bildungshaus Bystrik im malerischen Čičmany, zu denen die Katholische Aktion und das Katholische Bildungswerk der Erzdiözese Wien und das Forum Katholischer Erwachsenenbildung in Österreich gemeinsam mit dem Institut Sväteho Frantiska Salezskeho pre vychovu a vzdelávanie in der Slowakei eingeladen hatten.

Es braucht Mut Menschen die anders denken zu ertragen

Beim Gang durch die tschechisch-slowakische Nachkriegsgeschichte sagte Simko: „Vaclav Havel hat sich sehr klar über die Würde des Menschen geäußert. Er gehörte schon früh zu den bedeutendsten Dissidenten. … Nach dem Einmarsch 1968 in Prag gab es niemanden mehr, der das (die Regierung) unterstützt hat. Die Menschen waren gezwungen, Taten zu tun, die sie erniedrigt haben. Sie mussten von der `brüderlichen Hilfe´ sprechen, an den 1. Mai Feierlichkeiten teilnehmen, sonst wurde sie aus der Hochschule hinausgeworfen oder sonstwie erniedrigt“, so Simko. „Es gab Privatuniversitäten in den Wohnungen, wo die Studenten auf gute Weise teilnehmen konnten ohne sich auf die `brüderliche Hilfe´ beziehen zu müssen. Das war kein oberflächlicher Kampf, sondern ein tiefgreifender Kampf um die Würde des Menschen. 1989 ist das kommunistische Regime dann zerfallen. Da sind alle Menschen auf die Straße gekommen, auch die ehemaligen Kommunisten. Das waren die Massen, nicht nur einige hundert“, erläuterte Simko.

Er bekräftigte: „Der Kampf um die innere Würde sollte das Ziel einer christlich inspirierten Politik sein. Wir sollten uns nicht zurückziehen aus der Gesellschaft, auch wenn wir uns entgegenstellen müssen, auch wenn Themen unangenehm sind. … Es braucht Mut Menschen die anders denken zu ertragen. Gerade der Mut fehlt uns“, resümierte Simko sehr ehrlich im Blick auf die slowakische Gegenwart und seine eigene jüngste Entlassung. Nach einem Erfahrungsaustausch in Kleingruppen, wo die Teilnehmer ihre eigenen Erfahrungen zum Ausdruck brachten, erhob sich einer der Besucher und sagte zu Simko: „Sie haben mir heute ein bisschen den Glauben an die Politik zurückgegeben“.

© Franz Vock

Menschenrechte als Konsens, wie Menschen zusammenleben können

Die Sozialarbeiterin und Kulturwissenschafterin Christine Petioky, die maßgeblich am Aufbau der Geriatrischen Tageszentren in Wien mitgewirkt, Wien in internationalen Netzwerken vertreten hat und als Unabhängige Gewerkschafterin um die Verwirklichung der Menschenrechte im Alltagsleben ringt, legte in ihren umfangreichen Ausführungen dar, es gebe zwar 18 Übereinkommen über Menschenrechte aber „keine einheitliche Definition der Menschenwürde“. Die „Menschenrechte stehen jedem Menschen zu“, sind an die Menschenwürde zurückgebunden und haben eine lokale wie globale Komponente, wobei sich ihre Universalität „vor allem auf ihre innere Qualität“ beziehe.

„Infolge der Aufklärung ist der Anspruch auf eine politisch-rechtliche Anerkennung der Würde jedes Menschen und deren Institutionalisierung in den Menschenrechten entstanden“, sagte Petioky. 1789 verabschiedete die Französische Nationalversammlung die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte. Olympe de Gouges legte 1791 die Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin vor, die allerdings jahrhundertelang nicht verwirklicht wurde. François-Dominique Toussaint Louverture forderte die Menschenrechte für die versklavte Bevölkerung der französischen Kolonie St. Domingue (heutiges Haiti) ein, was 1794 nach erfolgreichem Aufstand zur Abschaffung der Sklaverei führte.

Im 21. Jahrhundert wurde die Behindertenrechtskonvention mit der „Verankerung des Begriffs ‚Inklusion‘ für gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft richtungsweisend für Antidiskriminierungs-Diskurse“ und bewirkte „eine Weiterentwicklung in Richtung Barrierefreiheit“. Heute brauche es wieder „eine neue Aufklärung, einen Paradigmenwechsel von der Vernunft zu `Wie heilen wir die Welt´“, betonte Petioky. Sie schloss: „Menschenrechte sind ein Konsens, wie Menschen zusammenleben können“. Im 5 verschiedenen Arbeitsgruppen wurden dann die eigenen Erfahrungen vertieft und 5 Punkte erarbeitet, die die Würde des Menschen bedrohen.

Nicht hinter die Grenze gehen, was wahr ist

„Wir haben heute eine Krise der Identität“, sagte der Abgeordnete in Trencin und Trainer im Projekt Christ in der Politik Eduard Filo, der 300 Gemeinschaften und 9000 Mitgliedern vorsteht. Fragen wie „Wer bin ich? Was bin ich? Was ist meine Stellung, meine Identität mit Gott“, beschäftigen heute die Menschen. „Wenn ich meine Würde von Gott bekomme, kann ich das weitergeben“, erläuterte Filo. Auch Fragen wie: Was für Werte habe und vertrete ich? Was ist mein Potential? seien oft präsent.

Filo der in der Slowakei schon 280 Absolventen in fünf Leadership-Kursen ausgebildet hat und nun einen Kurs für 80 Personen in Tschechien gibt, sagte: „Aus der Beziehung mit Gott kommt alles was ich weitergebe. Wenn ich einen großen Charakter habe, habe ich eine große Würde“. Es sei daher wichtig, den „Menschen „Selbstwert und Potential zu geben“. Er bekräftigte: „Wir brauchen Christen in der Politik. 80 Prozent der Politiker in der Slowakei sagen ich bin ein christlicher Politiker. Politik als allgemeines Gut ist eine der höchsten tatkräftigen Formen der Liebe“. Für ihn als Vater von 5 Kindern ist es wichtig, dass „ich den Kindern nahe bin, die Zeit mit ihnen genieße. Wenn ich der Gesellschaft dienen will, muss ich das zuerst in meiner Familie machen“, sagte Filo auch im Blick auf seine Gattin. Gleichzeitig sei es wichtig, „nicht hinter die Grenze zu gehen, was wahr ist, Moral ist. Ich kann nicht Demokratie, die Würde des Menschen unterdrücken und korrupt sein“, fasste Filo zusammen.

Bei einem Besuch in Rajecká Lesná im Slowakischen Betlehem konnten auf einer 8,5x3x2,5 m großen Holzskulptur die wichtigsten Kulturdenkmäler des Landes von der Bratislaver Burg bis zum Elisabeth- Dom in Kosice mit dem vergangenen Leben der Leute in der Ostslowakei bestaunt werden, die Meister Pekara in 15 Jahren geschaffen hatte. Der Besuch des dortigen Kalvarienbergs, der Heilquelle und eine vor Ort stattfindenden Hochzeitsfeier boten Einblicke in das gegenwärtige Leben.

Bei einem politischen Abend kamen die unterschiedlichen demokratischen Traditionen in Österreich und der Slowakei zur Sprache. Beim Kulturabend "Menschenwürdig leben in menschenunwürdiger Umgebung“, wurden Texte aus Anton Srholec Buch Licht aus der Tiefe der Lager von Jáchymov und von Phil Bosmans Liebe wirkt täglich Wunder gelesen, umrahmt von Juliana Kapcova auf der Querflöte.

Am Abschlussabend sang die örtliche, vor 11 Jahren zum 740 Jahre Jubiläum des Ortes gegründete Musikgruppe Schwälbchen, wozu Alt und Jung tanzten. In dem 123 Bewohner gemeldeten Dorf mit der ungewöhnlich weißen Bemalung der Holzhäuser, die in einem der 10 Volksarchitekturreservate der Slowakei seit 1977 unter Denkmalschutz stehen, kommen jährlich 30 000 Touristen vorbei, die von mehreren Pensionen und dem in Ausbau befindlichen Bildungshaus Bystrik aufgenommen werden, informierte Bürgermeisterin Iveta Michalíková.

Die Tage waren ein interessiertes Aufeinanderzugehen mit Gesprächen über Alters-, Sprach-, Kultur- und Landesgrenzen hinweg - dank aufmerksamer Übersetzer:innen, dem Genießen slowakischer Speisen und Ausflügen in die herrliche Naturlandschaft des Tales. Spiele für Kinder und Erwachsene von Bilder-Gestalten mit Naturmaterialien bis damit Türme bauen wechselten mit Phasen, in denen Fragen der Würde und des demokratischen Umgangs in das Blickfeld kamen oder des Innehaltens, z. B. beim Morgen- oder Abendlob, bei Gottesdienstfeiern mit Lieder Singen oder dem Erleben der 14-jährige Maria Würzl an der Orgel. Geburtstags- und 60 Jahre Priesterfeiern rundeten die Begegnung ab.

Franz Vock

© pixabay.com

Menschenwürde und Demokratie in Familie, Beruf und Gesellschaft

Kultur- und Seminartage von 19. Juli bis 23. Juli 2023 in Čičmany, Slowakei.
Anmeldung noch bis 31.5. möglich!

Österreichische und slowakische Familien sowie Interessierte lernen sich als „Nachbarn“ besser kennen. In den Gesprächen geht es um gesellschaftliche Entwicklungen, aktuelle Herausforderungen und gegenseitige Bereicherung. In Impulsreferaten geben österreichische und slowakische ReferentInnen Anregungen für gutes Zusammenleben, die in Gesprächsgruppen dikutiert und vertieft werden.

Heuer steht einerseit der Themenkreis Menschenwürde im Mittelpunkt, und andererseits die Frage, wie auf dieser Basis Entscheidungen gefunden und getroffen werden können - und dabei nehmen wir besonders das familiäre, berufliche und gesellschaftliche Zusammenleben in den Blick.

Alle Vorträge und Gespräche werden in die jeweils andere Sprache übersetzt (deutsch/slowakisch).

Für Kinder gibt es während der Seminareinheiten eine eigene Kinderbetreuung mit Spiel und Spaß.

Die Nachmittage werden individuell geplant, und eigenen sich daher für Spaziergänge, Singen, Lernen der slowakischen Sprache, Gespräche und vor allem dem Kennenlernen anderere Teilnehmer:innen. AM Samstag Nachmittag wird ein gemeinsamer Ausflug geplant.

© bystrikpenzion.sk

Seminarort ist heuer die Penzion Bystrik im malerischen Čičmany (deutsch Zimmermannshau), einem kleinen Dorf in der Nordwestslowakei, dessen Holzhäuser mit weißen Verzierungen 1977 unter Denkmalschutz gestellt wurden und eines der zehn Volksarchitekturreservate in der Slowakei bilden. Hier finden Sie Einblicke in das Hotel.

 

Rückblick auf vergangene österreichisch-slowakische Sommerwochen

Seit 1989 - kurz nach dem Fall des Eisernen Vorhangs - gibt es die österreichisch-slowakischen Seminar- und Kulturtage, bei denen sich slowakische und österreichische Familien treffen, um aktuelle Themen zu besprechen, das jeweils andere Land besser kennenzulernen, und auch voneinander zu lernen.
Berichte und Informationen aus den letzten Jahren finden Sie hier.

mz/mz